Stadtspaziergang

Station 4 - RÄume

Wie beeinflussen verschiedene Räume das Leben und Wohlbefinden von FLINTA* Personen? Wir betrachten, warum einige Orte für bestimmte Gruppen zugänglicher sind und welche Auswirkungen das hat. Entdecke Initiativen und Projekte, die sich für mehr Sichtbarkeit, Inklusion und Awareness einsetzen, und wie sie dazu beitragen, sicherere und einladende Räume zu schaffen.

Erklärungen zu Fachbegriffen, die wir verwenden, findest du in unserem Glossar.

 

Luisenstraße 108

Text zum Mitlesen

Du befindest dich hier in einem der Ausgehviertel in Wuppertal und deshalb möchte ich dich ganz kurz darum bitten, dir für ein kleines Gedankenexperiment eine Person vorzustellen, die hier abends auf ein Getränk alleine in eine Bar geht. Wie sieht die Person aus? Welches Getränk bestellt sie sich? Welche Reaktionen bekommt die Person von den anderen Besuchenden der Bar?

Viele stellen sich hier eine männlich gelesene Person vor.

Auf den Fragekarten unserer Ausstellung haben viele FLINTA* Personen erzählt, dass sie schlechte Erfahrungen in halböffentlichen Räumen, wie in Bars, aber auch im öffentlichen Raum durch beispielsweise Belästigungen gemacht haben. Dadurch ziehen sich FLINTA* teilweise aus diesen Räumen zurück oder sind dort nicht gerne alleine unterwegs. – wir stellen uns also vorwiegend männlich gelesene Personen vor, die alleine in Bars gehen.

Auf einer Karte hat ein Transmann auf die Frage, wovor er im öffentlichen Raum Angst hat geschrieben: „Als queere Person identifiziert zu werden und deswegen angefeindet zu werden – wo gehe ich hin, wenn ich schon im öffentlichen Raum bin?“. Eine transweibliche Person schreibt, dass sie vor allem Angst davor hat, nachts alleine in der Stadt zu sein, besonders wenn sie sich nicht hat rasieren können. In der zweiten Station hast du ja schon von verschiedenen Ängsten wie auch Catcalling und sexuellen Belästigungen gehört.

Es gibt Orte, die sich für FLINTA* einsetzen und versuchen dem entgegenzuwirken, allerdings geschieht dies meist nur im halböffentlichen Raum, also beispielsweise in den Bars und Cafés. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die von Orten eingesetzt werden, um Awareness zu schaffen. Bei Awareness geht um ein respektvolles Miteinander und darum, sich gegenseitig zu unterstützen und einen Raum zu schaffen, in dem sich alle wohlfühlen können und keinerlei Übergriffe oder diskriminierendes Verhalten geduldet wird. Grenzüberschreitungen werden dabei individuell von den Betroffenen definiert.

Hier sind einige Beispiele, die an manchen Orten bereits umgesetzt werden: aufgehängte Awarenessplakate mit Verhaltensregeln, diskrete Hilfeleistungen durch Fragen wie „Wo geht’s nach Panama?“ oder „Luisa ist hier“, Awarenessschulungen für ihr Personal oder Awarenessteams für Veranstaltungen. Außerdem gibt es die Versuche durch FLINTA*-only- oder FlLINTA*-Veranstaltungen Raum für FLINTA* Personen zu schaffen. Da diese Angebote freiwillig sind, werden sie nicht in allen Halböffentlichkeiten umgesetzt.

Zudem gibt es im öffentlichen Raum Angebote, wie das Hilfetelefon für Gewalt gegen Frauen oder zum Beispiel das Heimwegtelefon, bei dem man auf seinem Heimweg telefonisch begleitet wird. Auch von Seiten der Stadt gibt es Ansätze: Seit November hat Wuppertal eine vorerst befristete Stelle als Nachtbürgermeister in Elberfeld besetzt. Die Aufgaben des Nachtbürgermeisters Thomas Plath sind die Vermittlung zwischen Gastronomie und Anwohnenden, Zusammenarbeit mit Behörden und Institutionen, Aufbau von Netzwerken, Moderation und Mediation sowie die Konzeptentwicklung.

Generell stehen die Awareness-Angebote noch sehr am Anfang oder sind nicht ausreichend, sodass sich viele FLINTA* in Teil-Öffentlichkeiten oder Öffentlichkeiten unwohl fühlen und so aus diesen Räumen verdrängt werden.

Die diskriminierenden Erfahrungen gehen aber weit über den Bereich „Ausgehen“ hinaus. Uns sind so strukturell verankert, dass sie vielleicht oftmals nicht böswillig gemeint sind, aber Personen sehr treffen können. Das binäre Geschlechtersystem zeigt sich auch in subtilen Alltagstätigkeiten wie der Gang zumzur Friseurin. Meistens gibt es hier die Wahl zwischen einem Männerhaarschnitt und einem Frauenhaarschnitt – welcher Preis bezahlt wird, entscheidet aber derdie Friseurin.

Eine transweibliche Person (31) schreibt auf einer Karte: „Ich habe 2 Stunden bei Frisör:innen gewartet, weil sich Herrenfrisör und Damenfrisörin nicht sicher waren, wer am Anfang meiner Transition für mich zuständig ist.“

Eine agender Person (24) schreibt: „Ich, als nicht offensichtlich non-binäre Person (werde weiblich gelesen), hatte eine schöne Erfahrung bei Frisör:innen, als ich dort gefragt wurde, ob ich es lieber „rundlich weiblich“ oder „kantig männlich“ haben will. Ich war glücklich, weil mir, ohne dass ich was sagen musste die Option gegeben wurde. Aber dann musste ich am Ende trotz Kurzhaarfrisur den deutlich teureren Frauenpreis bezahlen.“

Es gibt noch viele weitere Institutionen und Orte an denen FLINTA* negative Erfahrungen im öffentlichen Raum gemacht haben, was bewirken kann, dass sich Queere und FLINTA* Personen aus dem öffentlichen Raum zurückziehen. Um dem entgegenzuwirken, müssen Angebote geschaffen werden und Orte so umstrukturiert werden, dass sich darin alle Personen wohlfühlen. Vielleicht kannst du mal darauf achten, an welchen Orten oder bei welchen Prozessen du deine Geschlechteridentität angeben musst und ob dir dabei auch ungefragt eine Geschlechteridentität zugeschrieben wird.

Ich möchte hier noch den Bogen schlagen und auf Orte aufmerksam machen, die sich für FLINTA* einsetzen. Was denkst du, hat dieses Haus, die Nummer 108, mit dem Stadtspaziergang zu tun?

Hier traf sich früher eine Frauengruppe, die hier 1974 das erste Frauenzentrum in Wuppertal gründete. Nach verschiedenen Umzügen und der Umbenennung in „Urania - Frauenbildungs- und Freizeitzentrum“ gehört der Verein mittlerweile zum Inside:Out – dem queeren Zentrum in Wuppertal, was als eine Art Dachverband für verschiedene Gruppen fungiert. Zusammen teilen sie sich die Räumlichkeiten in der Hochstraße 60. Es gibt einige dieser, teilweise historisch gewachsener Orte. Solche konsumfreien Schutzräume sind wichtig, um auf die Bedürfnisse von FLINTA* einzugehen. Falls du selbst nach solchen Orten suchst, kann dir unser Stadtkaleidoskop vielleicht einen ersten Überblick geben.

Laufe nun weiter entlang der Luisenstraße bis zur Nummer 124. Schaue dort auf den Boden, fällt dir etwas auf? Die nächste Station, Station 5, beschäftigt sich mit dem Thema Gedenken.